Der gerechte Sultan

Vor vielen Jahren lebten zwei Fellhändler unterschiedlichen Glaubens im Königreich Fes. Der eine war ein frommer Muslim, der andere ein nicht minder gläubiger Jude. Beide pflegten, da sie nicht weit voneinander im Gerberviertel wohnten, nachbarschaftliche Beziehungen, sonst aber hatten sie wenig gemein. Nicht nur dass der Glaube sie trennte, nein, es waren ihre wirtschaftlichen Verhältnisse, die sie zu Gegnern machten. Die Geschäfte des Muslims liefen prächtig, sein Name als Fellhändler, Gerber und Färber war weit über die Grenzen des Reiches bekannt, nach Sousse und Mauretanien, ja bis nach Spanien und Portugal, wo einige seiner besten Kunden lebten.

Dem Juden hingegen war solcher Wohlstand nicht vergönnt, obwohl er sehr hart arbeitete, täglich seine Gebete verrichtete und ein gottgefälliges Leben führte. Alle Anstrengungen halfen nichts, er verarmte zunehmend, und es kam die Zeit, da die Familie nicht einmal mehr die traditionellen Feste gebührend ausrichten konnte.

Das Glück des Muslims hingegen schien keine Grenzen zu kennen; er verdankte den Erfolg aber nicht nur dem eigenen Fleiß, sondern zu großen Teilen dem Geschick seines Ein- und Verkäufers, der ein gläubiger Jude, aber auch ein großes Schlitzohr war und es wohl verstand, die Geschäfte zum Wohle seines Dienstherren auszurichten.

Als dem Juden schließlich wirklich die Armut drohte, wandte sich seine Frau an den Rabbiner der Gemeinde, klagte ihm ihre Not, schilderte das ruinöse Verhalten des Muslims und bat ihn, alle seine Kräfte einzusetzen, einem Glaubensbruder in Not zu helfen.

Es war dem Rabbiner ein Anliegen, dem Wunsche zu entsprechen, aber was immer er auch tat, all seine Gebete, sein Bitten, sein Fasten, nichts wurde erhört; er beschwor die Geister, die auch nicht helfen wollten (oder konnten), und selbst die Mystik der Kabbala war vergebens.

Eines Tages schickte er nach dem Fellhändler und gestand sein Versagen. „Du wirst dem Muslim einen bösen Streich spielen müssen, der ihm die Geschäfte ruiniert, ich will, so Gott mir hilft, an deiner Seite stehen“, sprach der Rabbiner, „nur weiß ich nicht, was wir unternehmen könnten.“ „Das, oh Rabbiner, ist sehr einfach. Des Muslims Erfolg ist der Erfolg eines Juden, der ihm als Ein- und Verkäufer dient; wenn dieser uns helfen würde, wäre ich gerettet.“ So schickte denn der Gottesmann nach des Muslims Agenten und forderte von ihm im Namen ihres gemeinsamen Glaubens, ihnen zu helfen und seinen Arbeitgeber zu ruinieren. Der Mann stimmte nach langem Zögern, Zweifeln und Überlegen zu, nachdem der Rabbiner ihn noch einmal an das Jüngste Gericht erinnert hatte. Der Muslim hatte ihn nie betrogen, nicht dass er ihm ein zu üppiges Gehalt zahlen würde, der Einkäufer war arm wie eine Kirchenmaus, aber einen wirklichen Grund zur Illoyalität gab es keinen.

Der Handelsagent war zu einer langen Reise aufgebrochen, die ihn durch weite Gebiete Arabiens, aber auch in den Norden des Landes und nach Spanien und Portugal führte. Als er zurückkehrte, konnte er seinem Herrn mit Stolz berichten, dass ihre vollen Lagerhäuser nun leer seien, solch große Posten hätte er an die Handelshäuser verkauft. „Allahu kabir, Allah und dein jüdischer Gott seien mit dir“, freute sich der Muslim und zählte im Geiste schon den Gewinn, weil er daran dachte, den Besitz des jüdischen Konkurrenten für einen Spottpreis zu übernehmen.
„Das ist aber noch nicht alles“, bemerkte der Agent, „die große Überraschung kommt noch! Ich habe von den Portugiesen einen Auftrag über zehntausend gegerbte und gefärbte Hundefelle erhalten und, da diese momentan in Europa sehr beliebt sind, aber nur wenige Häuser diese Ware bieten, einen ausgezeichneten Preis heraushandeln können.“

Der Handel mit den Portugiesen ist zur Zeit im Königreich Fes verpönt und kann Ärger bedeuten, aber was soll‘s, Geschäft ist Geschäft, zumal wenn ein prächtiger Gewinn winkt, dachte der Muslim, obwohl ihm die Sache nicht ganz geheuer war, Hundefelle? Es gab aber auch keinen Grund, seinem Agenten zu misstrauen; so versprach er diesem eine Prämie und bat seine Frau, ein Festessen zu bereiten.

Es gab bald im ganzen Königreich sowie in den umliegenden Regionen keine Hunde mehr, so sehr waren die Hundefänger beschäftigt, den Auftrag des Fellhändlers zu erfüllen. Die Lagerhallen waren übervoll, die Gerber und Färber kamen mit der Arbeit kaum nach, aber schließlich war es vollbracht, und die Felle in den gewünschten Formen und Farben waren fertig. Der Fellhändler hatte sein ganzes Vermögen in diesen Auftrag investieren müssen, aber ohne Risiko gab es kein Geschäft, und die Handelspartner, von welchen sein Agent gesprochen hatte, waren langjährige, verlässliche Kunden.

Der Agent machte sich auf, vor Auslieferung der Ware einen Teil des Preises zu kassieren, wie es im Handel üblich war. Doch wie überrascht war der Fellhändler, als er seinen Vertreter zutiefst bedrückt nach Hause zurückkehren sah. „Herr, oh Herr, es ist eine Katastrophe, der Auftraggeber ist von dem Geschäft zurückgetreten, und da ich es versäumt habe, einen schriftlichen Vertrag zu fertigen, wir kennen ihn doch schon so lange, gibt es keine Möglichkeit, rechtlich gegen den Vertragsbruch vorzugehen.“ Der Fellhändler wurde blass, als ihm das volle Ausmaß der Katastrophe bewusst wurde; die Lagerhäuser waren übervoll mit wertloser Ware, die Kassen waren leer, ganz leer, er war bankrott. Ihm schwante, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen war, der unübliche Auftrag, die Unvorsichtigkeit seines sonst so verlässlichen Agenten, die Vorfreude auf den allzu prächtigen Gewinn, das furchtbare, bittere Ende; aber beweisbar war nichts, es blieb keine Wahl, er musste sich in sein Schicksal fügen. 

So hatte sich der Spieß umgedreht, des Juden Geschäft begann sich zu erholen, er konnte große Aufträge von seinem zahlungsunfähigen Konkurrenten übernehmen, und da er ein fleißiger und guter Kaufmann war, lebte er bald in Überfluss und Reichtum wie einst der Muslim.
Dieser aber, über sein Schicksal vergrämt und von den Handelsleuten inzwischen gemieden, rekapitulierte all das Geschehene und beschloss, Hilfe zu suchen. Wie einst der Jude sich an den Rabbiner gewandt hatte, ersuchte der Muslim um eine Audienz beim Sultan. Dieser hörte sich die gesamte Geschichte ruhig an, die Verdachtsmomente gegen den Juden, der jüdische Einkäufer, der ungewöhnliche Auftrag, der resultierende Reichtum des jüdischen Konkurrenten, beriet sich lange mit seinem Wesir und verkündete dann: „Fellhändler, du bist ein Handelsmann seit vielen Jahren, und du kennst die Risiken genau; hättest du den Auftrag gut geprüft, so würdest du jetzt nicht selbst geprüft werden. Es ist dein eigenes Verschulden, ich kann kein Tribunal über den Juden halten.“ Sprach’s und fügte hinzu: „Ob des Friedens willen, der herrschen soll in meinem Reiche, will ich dir aber trotzdem helfen. Geh jetzt nach Hause, behalte deine Felle, du wirst von uns hören.“ Der Muslim tat, wie ihm geheißen, verließ sein Haus kaum noch und verbrachte die Tage im Gebet.

Ob es nun die Folge der Gebete war, die dem Sultan eine Idee bescherte oder nicht, bleibt unklar. Jedenfalls ließ er eines Tages alle jüdischen Notabeln seines Reiches zur Audienz bitten. Es herrschte eine große Aufregung unter den Juden, sie lebten zwar in Frieden mit den Muslimen, aber ihnen schwante Böses, eine solche Aufforderung hatte es noch nie gegeben.

„So hört denn, würdige Bürger meines Reiches, Frieden und Wohlstand meiner Untertanen sind mein oberstes Gebot. Unsere Schriftgelehrten, die Allah nahestehen, haben herausgefunden, dass Einigkeit nur gewährleistet ist, wenn alle Juden beim Gebet nicht mehr die übliche Kippa aus Stoff, sondern eine solche aus Hundefell tragen. Ich bitte euch denn, da ihr mir beste Bürger und die Säule unseres Wohlstands seid, dieser Bitte Folge zu leisten.“

Die Juden hatten wirklich anderes erwartet und verließen frohgemut den Saal. Die Gemeindeversammlung tagte, um des Sultans Befehl allgemein zu verkünden, und man fragte sich, wo man denn so schnell all die Hundefelle her bekommen sollte. Die Gemeinde diskutierte und stritt, nur der Rabbiner lächelte leise und dankte Gott für die Klugheit des Sultans.

So teilten die Fellhändler nun wieder das Geschäft und lebten in Frieden bis an ihr seliges Ende.